Bestandsbeschreibung

Der Teilbestand „Bereich Kindersuchdienst unter UNRRA und IRO“ setzt sich überwiegend aus allgemeiner Korrespondenz einzelner Abteilungen des Kindersuchdienstes untereinander, aber auch mit anderen Korrespondenzpartnern (wie z. B. dem polnischen Roten Kreuz), die im Laufe der Tätigkeitsausübung angefertigt wurden, zusammen. Gegenstand dieser Korrespondenz ist vor allem die Suche nach vermissten sowie die Identifizierung, Registrierung, Betreuung aber auch Repatriierung bzw. Emigration von „unbegleiteten“ Kindern und Jugendlichen (unaccompanied children). In dem Bestand befinden sich ferner von UNRRA- bzw. IRO-Mitarbeitern angefertigte Feld-, Monats- und Jahresberichte, die den steten Wandel der Organisation des Kindersuchdienstes spiegeln, aber auch die Aufgaben dieser Institution und ihre Ergebnisse thematisieren. Listen und statistische Angaben zu vermissten und „unaccompanied Children“ in den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands, insbesondere in der US-amerikanischen Zone, zählen ebenfalls zu den Unterlagen. Weitere Akten behandeln Ermittlungen zu deutschen Kinderheimen und Pflege- bzw. Adoptivfamilien, die das Ziel hatten, Kinder alliierter Nationen zu finden. Des Weiteren existieren in diesem Bestand in einem geringeren Umfang individuelle Suchfälle und ein Interview mit einem Kind sowie veröffentlichte Zeitungsartikel und Suchinserate des Kindersuchdienstes.

Geschichte

Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sahen sich die alliierten Streitkräfte und internationale Hilfsorganisationen, allen voran die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) und ab 1947 ihre Nachfolgeorganisation International Refugee Organization (IRO) mit dem Problem der vermissten und „unbegleiteten“ Kinder (unaccompanied children) konfrontiert. Als „unaccompanied children“ wurden mehrere Zehntausend Kinder und Jugendliche bezeichnet, die Angehörige einer alliierten Nation waren bzw. aufgrund der nationalsozialistischen Rassenpolitik als Juden verfolgt worden waren, und die nun als Folge des Zweiten Weltkrieges ohne ihre Eltern oder andere erwachsene Familienangehörige aufgefunden wurden. Sie waren Überlebende der nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager, zur Zwangsarbeit verschleppte Minderjährige oder Kinder von Zwangsarbeiterinnen, Kinder und Jugendliche, die jahrelang in Verstecken ausharren mussten, und jene Kinder, die von den deutschen Besatzern geraubt und zur „Eindeutschung“ in Germanisierungsprogrammen untergebracht worden waren, oftmals ohne jegliche Anhaltspunkte auf ihre Identität oder die ihrer Eltern. Diese Kinder und Jugendlichen galt es zu finden und zu versorgen. Zu diesem Zweck wurde 1945 innerhalb der UNRRA eine gesonderte Abteilung mit dem Namen Child Tracing Section (CTS) – ab 1948 Child Search Branch (CSB) – ins Leben gerufen, die sich der spezifischen Probleme in der Fürsorge für überlebende Kinder und Jugendliche annahm. Sie war die zentrale Instanz für das Aufspüren von vermissten Kindern und die Erstversorgung von unaccompanied children im befreiten Europa. Neben der Suche nach diesen Kindern bestanden die Aufgaben dieses Kindersuchdienstes vor allem darin, deren Identität und Staatsbürgerschaft festzustellen sowie sie mit den erforderlichen Papieren auszustatten. Ferner galt es, einen Kontakt zwischen ihnen und ihren Eltern oder Angehörigen herzustellen und ihre Repatriierung bzw. Auswanderung vorzubereiten. Den Wirkungskreis des Kindersuchdienstes bildeten vornehmlich die westalliierten Besatzungszonen Deutschlands. In der französischen Besatzungszone wurde die Suche ausschließlich von der Militärregierung durchgeführt. Die UNRRA startete bereits im September 1945 in der britischen und amerikanischen Besatzungszone ein spezielles Programm, welches das Ziel hatte, Kinder, deren Eltern Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Vereinten Nationen waren und die jetzt in deutschen Einrichtungen und Familien lebten, aufzufinden und zu identifizieren. Zusätzlich zu dieser systematischen Suche nach „unbegleiteten“ Kindern, erfolgten in beiden Zonen auch Nachforschungen aufgrund von Anfragen, die von Eltern oder Angehörigen vermisster Kinder beim Central Tracing Bureau (CTB) der UNRRA (zunächst mit dem Sitz in Frankfurt-Höchst und ab 1946 in Arolsen) eingingen. Von dort aus wurden die Anfragen an Zonensuchbüros weitergeleitet, wo sich Mitarbeiter der UNRRA (Child Search Teams) vor Ort um die Kindersuche kümmerten. Aufgrund der zeitlichen Befristung der UNRRA übernahm die International Refugee Organisation (IRO) am 1. Juli 1947 die Trägerschaft für das CTB. Dies hatte einen Aufgabenwandel und erheblichen Personalabbau zur Folge. Die Zonensuchbüros wurden in das Central Tracing Bureau eingegliedert und ermöglichten der IRO damit eine straffere Organisation der Arbeiten mit einem besseren Informationsaustausch sowie die Grundlage für den Aufbau einer umfassenden zentralen Dokumentationsstelle. Es erfolgte ferner die Umbenennung des CTB in International Tracing Service (ITS). Für die Arbeit der Child Tracing Section, die unter der Dezentralisierung unter der UNRRA gelitten hatte, hatte die neue Trägerschaft der IRO nur kleine Verbesserungen zur Folge. Ihre Suchaktivität wurde auf eingehende Anfragen beschränkt und die Nachforschungen nach „unbegleiteten“ Kindern eingestellt. Auch infolge der Ergebnisse des achten Nachfolgeprozesses des Amerikanischen Militärtribunals 1948 in Nürnberg gegen Angehörige des Rasse- und Siedlungshauptamts (RuSHA), in dem der Praxis der Rasseselektion von „eindeutschungsfähigen“ Personen eine wichtige Rolle zukam, wurden die Weichen für die Arbeit des Kindersuchdienstes neu gestellt. Damit rückten die „germanisierten“ Kinder in den Fokus des CSB. Zur besseren Umsetzung der Suche nach diesen Kindern, die zur „Eindeutschung“ nach Deutschland u.a. in Kinderheime und Pflegefamilien verschleppt worden waren, wurde ein „Limited Registration Plan“ (LRP) erarbeitet. Dieser sah eine Erfassung aller Pflege-, Heim- und Adoptivkinder der westlichen Besatzungszonen vor. Neben der Umsetzung des LRP oblag dem Kindersuchdienst die Koordinierung aller entsprechenden Nachforschungsaktivitäten außerhalb Deutschlands, die Bearbeitung von Anfragen in Bezug auf Kinder sowie der Aufbau einer geeigneten Dokumentationsstelle, der „Documents and Intelligence Section“. Darüber hinaus war ihre Arbeit eng verbunden mit dem IRO Child Welfare Program, einer Aufgabe, die innerhalb des IRO-Mandats mit hoher Priorität wahrgenommen wurde. Das „Child Welfare Program“ war für die Betreuung von „unaccompanied children“ in „Children‘s Centers“ verantwortlich. In diesen Kinderzentren verblieben die Kinder und Jugendlichen in der Regel bis zu ihrer Identitätsklärung und der anschließenden Zusammenführung mit Angehörigen oder ihrer Repatriierung bzw. Emigration. Anlässlich des anstehenden Rückzugs der IRO, deren Mandat anders als nach ursprünglichen Plänen am 31. März 1951 und nicht schon Ende 1950 endete, wurden bereits im April 1950 alle Vor-Ort Aktivitäten des Kindersuchdienstes eingestellt. Dies hatte zur Folge, dass die Erfassungen und Einzelklärungen im Zusammenhang mit dem „Limited Registration Plan“ nicht mehr abgeschlossen werden konnten. Im September 1950 wurde der Kindersuchdienst mit reduziertem Personalbestand schließlich räumlich und organisatorisch in die Hauptverwaltung in Arolsen integriert (zuvor war der Kindersuchdienst im US-Zonensuchbüro in Esslingen untergebracht), wo seine Arbeit mit geänderten Schwerpunkten bis heute fortgeführt wird. Die ursprüngliche Kerntätigkeit, allen voran die Identitätsklärung aufgefundener heimatloser oder verwaister Kinder und Unterstützung bei der Kontaktaufnahme mit Eltern oder Verwandten, wurde 1950 komplett eingestellt es wurden bzw. werden lediglich noch eingehende Suchanfragen beantwortet. Quellen:ITS Bad Arolsen, Digitales Archiv, Schriftgut des ITS und seiner Vorgängerorganisationen, 6.1.1, Ordner 0046, Teil 1: History on the Search of unaccompanied children, Prepared and submitted by Herbert Meyer, Chief Child Search Branch, Esslingen 1950, Dokumenten-ID 82506004- 82506044. ITS Bad Arolsen, Digitales Archiv, Schriftgut des ITS und seiner Vorgängerorganisationen, 6.1.1, Ordner 0046, Teil 2: History of the I.T.S. Child Tracing, Prepared and submitted by Vera: Samsonoff, Chief Information Division, Arolsen 1951, Dokumenten-ID 82506046-82506054. Urban, Susanne: Neuere Literatur zum Thema Jüdische Displaced Persons, in: Schüler-Springorum, Stefanie (Hrsg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung 21, Berlin 2012, S. 425-443.

Bestandsgeschichte

Der Teilbestand enthält Verwaltungsakten der „Child Search Branch“, die vorwiegend in dem Zeitraum von 1945 bis 1951 zunächst von der UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) und ab 1947 von der IRO (International Refugee Organisation) im Rahmen ihrer Mandatsausübung angelegt wurden. Ausnahmen bilden die Ordner mit den Nummern 0016 und 0003. Erstgenannter enthält u. a. Dokumente aus den Jahren vor 1945. Es handelt sich dabei um Abschriften und Übersetzungen von Dokumenten des „Lebensborn“, die mit großer Wahrscheinlichkeit von Mitarbeitern der „Child Search Branch“ für die Erfüllung ihrer Arbeit angefertigt wurden. Der Ordner Nr. 0003 enthält insbesondere Monats- und Jahresberichte aus den Jahren 1952 bis 1955. Diese wurden vom Child Search Branch des International Tracing Services (ITS) angefertigt, als er nicht mehr der IRO sondern der HICOG unterstand. Dem Monatsbericht des ITS vom September 1950 ist zu entnehmen, dass die Akten, die bis zu diesem Zeitpunkt bereits existierten, als Folge des Umzuges des Kindersuchdienstes von Esslingen nach Arolsen kamen. Unklar ist jedoch, in welchem Umfang und in welcher Form dies geschehen ist. Die Laufzeit des Bestandes legt die Vermutung nahe, dass dieser in Arolsen fortgeführt wurde. So ergibt es sich, dass insgesamt 20 Ordner mit Verwaltungsakten aufbewahrt wurden. Diese wurden nicht nach inhaltlichen Kriterien, sondern hauptsächlich nach Dokumententypen (z.B. Reports oder Korrespondenz) angelegt.

Zugangsbeschränkungen

Die Akten sind vollständig digitalisiert und aus konservatorischen Gründen grundsätzlich nur in digitaler Form einsehbar.

Andere Findmittel

Findbücher des International Tracing Service:- ITS 1: Child Search Branch(Zugänglich über das System des ITS in der Registerkarte "Verzeichnung" und auf der Webseite des ITS in der Rubrik "Die Findbücher des ITS")

Korrespondierende Bestände

Weitere Unterlagen des Child Search Branch befinden sich in den Beständen des "Kindersuchdienstes" (ITS 3.3). Der Teilbestand ITS 3.3.2.1 ist im Findbuch „ITS 1: Child Search Branch“ von 2014 erschlossen. Ferner gibt es Unterlagen in den "Fallbezogenen Akten des Kindersuchdienstes 1947-1951" (ITS 6.3.2), in den Beständen der "Listenmäßigen Erfassung von DPs in DP-Lagern" (ITS 3.1.1.2) sowie in den Beständen der "Vorgängerorganisationen" (ITS 6.1.1), wobei an dieser Stelle vor allem der Ordner 46 zu nennen ist. Der –Teilbestand „Bereich Kindersuchdienst unter UNRRA und IRO“ beinhaltet nur einen Teil der Überlieferung des Child Search Branch. Weitere Unterlagen befinden sich im ARMS (The United Nations Archive) in New York und in den Archives Nationales in Paris. Dokumente über die Child Search Branch-Aktivitäten in Österreich sind außerdem im "Register of the Aleta Brownlee Papers, 1945-50" im Hoover Institut an der Stanford Universität in Kalifornien zu finden.

Literatur

Andlauer, Anna: Zurück ins Leben. Das internationale Kinderzentrum Kloster Indersdorf 1945-46, Nürnberg 2011.

Holborn, Louise Wilhelmine: The International Refugee Organization. A specialized agency of the United Nations. Its History and Work 1946-1952, London 1956.

Woodbridge, George: The History of United Nations Relief and Rehabilitation Administration, 3 Bde., New York 1950.

Urban, Susanne: Neuere Literatur zum Thema Jüdische Displaced Persons, in: Schüler-Springorum, Stefanie (Hrsg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung 21, Berlin 2012, S. 425-443.

Zahra, Tara: The Lost Children: Reconstructing Europe`s Families after World War II, Cambridge 2011.

Zimmer, Bernd Joachim: International Tracing Service Arolsen. Von der Vermisstensuche zur Haftbescheinigung. Die Organisationsgeschichte eines "ungewollten Kindes" während der Besatzungszeit, Bad Arolsen 2011.